Mittwoch, 11. Januar 2012

Der Rest der Geschichte

DAS! War mit 100%iger Sicherheit kein Tag, wie wir ihn geplant hatten!
Es war ein Freitag wie jeder andere. Recht sonnig und eine Woche vor den Abschlussprüfungen.
Ich und Shion hatten für den Nachmittag eine gemütliche Lernstunde im Starbucks geplant mit anschliessendem Musical-Besuch (Mamma Mia! <3) Aber es sollte natürlich alles ganz anders kommen. Wir gingen also mit Josephine essen. Als wir uns trennten gingen wir Richtung Shinjuku Bahnhof und sie ging in ihre Zuglinie. Als ich und Shion an einer grossen Kreuzung stehen bleiben bemerkte ich, dass die Erde leicht schwankte. Shion bestätigte mir dies auch. Nachdem vor 2 Tagen bereits die Erde leicht bebte, waren wir nicht wirklich beunruhigt und liefen los, als es grün wurde. Während dem Laufen konnte man an den Gesichtern der Leute sehen, dass etwas nicht ganz stimmte. Als wir auf der anderen Seite ankamen blieben alles stehen und die Erde bebte immer noch, nur viel viel stärker als zuvor. Alle Menschen blieben auf der Kreuzung stehen, da umgeben von Wolkenkratzern, dies der sicherste Ort war. Wir standen immer noch leicht auf der Strasse, da direkt vor uns eine Art Blech/Metal Überbauung war, die wie wild zu scheppern anfing und somit nicht Vertrauen erweckend war! Aus kleinen Seitengässchen sah man Leute auf die Kreuzung rennen und alle schauten wie gebannt die Wolkenkratzer an, die sich wie Grashalme im Wind bewegten.
Als die Erde wieder einigermassen ruhig war und unsere Beine nicht mehr zu sehr zitterten dachten wir, wir gehen mal schauen, ob wir mit dem Zug überhaupt noch zum Musical kommen....denkste!
Das Musical-Theater war auch noch näher am Meer, wobei bei Tsunami-Warnung das überhaupt keine gute Idee gewesen wäre, zudem fahren sowieso keine Züge. Nachdem wir eine Weile im Bahnhof waren, fanden wir es etwas beklemmend unter der Erde zu sein und gingen wieder nach oben. Kaum waren wir wieder an der freien Luft, kam das nächste recht starke Nachbeben.
Als wir dann ein paar Minuten lang ziellos zwischen den Büssen und Menschenmengen rumirrten entschlossen wir, dass es wohl am gescheitesten wäre, zurück zur Schule zu laufen. Dies stellte sich als eine äusserst weise Entscheidung heraus!
Als wir bei der Schule ankamen, war Josephine bereits dort und sagte, dass die anderen auf dem Weg zurück zur Schule wären, da zuvor alle die Schule verlassen hatten.
Hauptsächlich die Nachmittags-Schüler waren noch dort, aber auch einige der Morgenklassen waren vertreten.
Mit allen vorhandenen Lehrern und Schülern liefen wir dann zur Waseda-Universität um dort abzuwarten. Auf dem Weg zur Universität (und auch vorher schon unzählige male) versuchte ich immer und immer wieder nach Hause zu telefonieren. Alle Leitungen waren übelst überlastet und ich wusste, dass bei einem solchen Beben sicherlich auch in der Schweiz die Rede war. Glücklicherweise kam ich irgendwann durch und meine Schwester hatte gerade Ferien und konnte das Gespräch entgegen nehmen. Ich erzählte ihr nur ganz knapp, dass es uns gut geht, wir bei unseren Lehrern sind und dass sie das bitte allen ausrichten solle.
In der Kantine der Waseda-Universität waren überall Fernseher aufgestellt und wir sahen zum ersten Mal, die Ausmasse, die das Erdbeben hatte. Überall wurde Bildmaterial gezeigt von ganzen Landstrichen, die überflutet werden, Autos und Häuser, die wie Papschachteln davontreiben und immer wieder Ausschnitte von der Zeit als die Erde bebte.
Shion und ich hockten den ganzen Abend bei Josephine und Linea. Josephine und ich gingen später noch Kitto abholen, da dieser nicht wirklich wusste, was los war. Auch an unserem Tisch sass eine koreanische Kollegin von Linea und Josephine plus einer ihrer Kollegen. Mit dem Koreaner unterhielt ich mich ein wenig, auch wenn es schwer war, sein perfektes, hochgestochenes Japanisch zu verstehen. Nach mehreren Stunden Warten fuhren noch immer alle Linien nicht. Als wir Kitto abholten, kauften ich und Josephine also gleich noch irgend welches Essen. Bei den übrig gebliebenen Schülern und Lehrern entwickelte sich eine Art verzweifelt-lockere Art. Viele tranken ein Bierchen und es wäre eigentlich ein super lustiger Abend gewesen, wären da nur nicht die schrecklichen Bilder im Hintergrund gewesen.
So zirka gegen 11 Uhr hiess es plötzlich, dass die meisten Bahnen in Tokyo wieder fuhren.....sehr viele....aber unsere, die Saikyo-Linie natürlich nicht! Wer hätte es gedacht! *lach*
Linnea und die beiden Koreanern gingen darauf nach Hause und noch viele weitere Schüler. Einzig Josephine und Kitto fanden es wäre eine gute Idee, jetzt noch in ein Izakaya zu gehen...na wenn sie meinen xD. Viel später am Abend kamen sie dann wieder zu uns zurück.
Mir und Shion blieb daraufhin nichts anderes übrig als in der Universität auf Kartonschachteln zu schlafen...wirlich bequem war dies ja nicht gerade aber naja. Notfalldecken hatten wir auch dazu bekommen, diese waren zum Glück sehr warm. Immerwieder kamen auch verspätete Mails unserer Freunde und Bekannten auf unseren Handys an. Insgesammt waren noch etwa 10 KAI-Schüler in der Universität. Wirklich nett war, dass während der ganzen Zeit etwa 7-9 Lehrer bei uns waren und sich rührend um uns sorgten.
Am nächsten Morgen wurde Dosenbrot an alle Anwesenden verteilt. Ich fand es schmeckte gar nicht so schlecht...es schmeckte ein bisschen wie ein Panetone. Danach mussten wir noch bis zirka 9 Uhr warten, als wir endlich grünes Licht für unsere Linie bekamen. Irgendwann in der Nacht war auch Kim und Dominique zu uns gestossen und machten sich mit uns und einer Lehrerin auf nach Shinjuku. Als wir bei den Zügen eintrafen waren alle Anzeigetafeln leer und wir fürchteten schon, dass die Züge doch noch nicht fahren würden. Doch man sagte uns, dass wir einfach auf die Geleise gehen sollen und warten sollen, bis der nächste Zug eintrifft. Die Züge würden sehr unregelmässig fahren. Als wir auf dem Abfahrtsgleis ankamen ahnten wir schon das Schlimmste. Eine Riesenmasse an Menschen hatte sich schon auf dem kleinen Platz gesammelt und wir wussten, dass dies keine angenehme Heimreise geben wird. Als der Zug dann auch wirklich kam, zweifelte ich zuerst sehr daran, dass wir überhaupt noch Platz hätten. Es ist Japan, es hat beinahe immer Platz in einem Zug! Gequetscht an meine Freunde und mit dem Peltzmantel eines Japaners im Gesicht fuhren wir ca. 40 Minuten. Der Zug hatte etwa das Doppelte an Fahrdauer, wie er es normalerweise hätte. Wir fühlten uns wie neu geboren, als wir wieder aus dem Zug ausstiegen.
Zu Hause lief uns zugleich Kono über den Weg und umarmte uns und war froh uns zu sehen.
Als wir in unser Zimmer kamen waren wir beinahe schon enttäuscht! Wir hätten schwören können, dass mindestens Shions Laptop auf den Boden gefallen ist. Aber nein. Alles beim Alten. Als wäre Nichts geschehen. Ich hatte die ganze Zeit über Kontakt mit meinen Eltern und mit Freunden und immer mehr kristalliesierte sich heraus, dass im Atomkraftwerk von Fukushima, etwas nicht stimmte. Da wir die lokalen Medien nicht verstanden, waren wir auf Informationen aus dem Internet und unserer Eltern angewiesen. An diesem Tag gingen Shion und ich recht Früh schlafen. In den Schlaf geschaukelt wurden wir von den beständigen kleineren Nachbeben. Aber so müde, wie wir waren, störte uns dies überhaupt nicht mehr.

Am 13ten am Morgen Früh gingen wir Einkaufen. Und zwar richtig. Wir wussten nicht, ob in den nächsten par Tagen Essen knapp sein könnte, oder ob wir gar gezwungen wären in den Häusern zu bleiben. Also kauften wir lieber genügend ein.
Viele Instantprodukte wie Ramen und Udon war völlig ausverkauft. Genauso wie Wasser. Wir ergatterten nur noch überteuertes Mineral. Immer wieder, wenn wir etwas Zeit hatten versuchten wir zu lernen, da wir noch nicht wussten, ob die Abschlussprüfungen abgesagt werden würden.
Ich sass oft unten am Computer und schaute wie gebannt auf den Fernseher, den ich nicht wirklich verstand und schrieb mit meinem Vater. Gegen Montagabend schrieb mir plötzlich mein Vater :“ Jetzt ist einer der Reaktore in die Luft geflogen!!!!“ Ich drehte mich sofort zum Fernseher und erwartete eigentlich, dass man das Video der Explosion oder zumindest ein Bild zeigte. Aber der Sprecher redete einfach immer noch weiter. Mein Eltern machten sich steigernd immer mehr Sorgen und auch wir wussten nicht, was noch auf uns zukommen könnte. Als ich zurück ins Zimmer ging schrieb ich weiterhin mit meiner Familie und besprach das ganze mit Shion. Auch Kazuya, Kim und Dominique waren in unserem Zimmer. Wir überlegten uns, ob wir weiter in den Süden Japans gehen wollten. Aber wirklich nach „Reise“ war uns in diesem Moment auch nicht wirklich und wir waren uns eigentlich einig, dass wenn wir schon in ein anderes Land fliegen würden, dann könnten wir gerade so gut nach Hause fliegen. Als mein Vater dann auch noch die Hiobsbotschaft brachte, dass nun auch ein Vulkan im Süden ausgebrochen war, war es mir langsam genug. Die Angst stieg, dass wir schliesslich in Japan festsassen und wegen der Aschewolke des Vulkans Nirgendwo hin kamen. (Diese Angst war zum Glück unbegründet, wie sich ganz am Schluss heruasstellte) Also entschlossen wir uns schweren Herzens um vier Uhr Morgens, dass wir zurück in die Schweiz fliegen. Sicher einmal für eine Zeitspanne von 3 Wochen. Also buddelten wir unsere Koffer hervor und suchten so gut es ging alles zusammen, was man so gebrauchen kann. Wir nahmen hauptsächlich Dinge mit, die wir in Japan gekauft hatten und die wir sowieso nach Hause geschickten hätten über kurz oder lang. Als wir am Morgen fertig gepackt hatten hatten wir zwei Probleme: 1. Wir hatten unseren Pass nicht (die hatte unsere Schule für die Visas), 2. Die Züge fuhren nicht, um Strom zu sparen.
Ich rief also in der Schule an und fragte, ob unsere Pässe noch in der Schule seien und ob wir diese abholen können. Zum Glück waren sie noch vor Ort, das erleichterte so einiges. Nicht auszudenken, wenn wir zuerst einen Ersatzpass gebraucht hätten. Meine Schule wusste, dass wir das Problem hatten, dass unser Zug nicht fuhr und gab uns Alternativen an. Taxis konnte man nämlich keine Auftreiben. (Taxistellen anrufen übernahm Kazuya zum Glück ^^) Wir wollten uns gerade aufmachen zu einem einstündigen Fussmarsch zu einer anderen Zughaltestelle als die Schule anrief und sagte, dass die Saikyo-Linie fahre, einfach nur sehr unregelmässig. Wunderbar dachten wir und machten uns schleunigs auf zum Bahnhof. Unser Zimmer hinterliessen wir in einem recht chaotischen Zustand....und einen Brief schrieben wir noch, den wir Kono überbringen liessen.
Kazuya und Kim kamen mit uns mit nach Shinjuku, da sie quasi nichts besseres zu tun hatten, als zur Schule zu gehen und dort herum zu hängen.
Die Fahrt bis nach Shinjuku war ganz schön aufregend und vor allem waren die Züge mehr als überfüllt. Ganz voll gestopft mit Japanern, die doch noch irgendwie zur Arbeit wollten. Und doch schafften wir es mit unserem Gepäck dort hin. (Meine Kopfhörer überlebten aber das Gedränge im Zug nicht!)
In Shinjuku blieb ich für ca. 1 Stunde mit unserem Gepäck stehen und Shion ging mit Kazuya und Kim zur Schule um unsere Pässe abzuholen. Als sie zurück kam, trafen wir per Zufall noch auf Dongyu und seine Freunding und Yuujin. Auch diese drei hatten sich entschlossen für eine Weile nach Korea zurück zu kehren.
Von Shinjuku aus zeigte uns Kazuya welchen Bus wir richtung Narita nehmen sollen. Es gäbe auch einen Zug aber durch die konstanten Stromunterbrüche war das irgendwie zu riskant.
Die Busfahrt dauerte ca. 2 Stunden und es war ein seltsames Gefühl an Tokyo vorbei zu fahren und zu wissen, dass wir gerade dabei sind es für längere Zeit zu verlassen.
Als wir in Narita ankamen war dann mal Chaos pur. Wir trafen auf Nina und auf Christian, die ebenfalls nach Hause flogen.
Nach einigem hin und her telefonieren und bangen am Flughafen kamen wir dann doch noch an zwei Flüge am selben Abend nach Zürich. Leider hatte es nur einen Flug in Economy und mehrere in der ersten Klasse frei. Also „musste“ ich erster Klasse nach Hause fliegen. Ein Erlebnis für sich definitiv aber ich fühlte mich wirklich viel zu wichtig in meiner kleinen Kabine. Ich wurde immer ganz schräg angeschaut, wenn ich dem Personal gesagt habe, dass ich nicht mehr brauche und zufrieden bin. Tut mir ja Leid, wenn ich keinen Kaviar und Sekt bestellen möchte!
Die Erste Strecke Tokyo Dubai hatte ich sowieso komplett durch geschlafen.
In Dubai assen wir noch ein letztes mal zusammen mit Nina und sprachen über die chaotischen letzten Tage. Schliesslich hiess es dann Lebewohl zu sagen. Nina flog weiter nach Deutschland und wir weiter nach Zürich.
Leider bedachte ich nicht, dass ich ja von Dubai nach Zürich in Economy hätte fliegen können....also flog ich wieder erster Klasse...und diesmal war ich gar alleine in der ersten Klasse....Das Personal wusste sogar schon meinen Namen als ich beim Flugzeug ankam. Das war dann wirklich ein seltsames Gefühl xD
Nach weiteren 5 Stunden Flug landeten wir dann endlich in Zürich und wurden von unseren Müttern abgeholt. Mein erster Gedanke war, dass die Schweiz extrem kalt ist!
Als wir mit dem Auto durch Zürich fuhren dachte ich wie niedrig die Hochhäuser sind und wie grün doch alles ist. Obwohl die Umgebung so vertraut war, war es doch wirklich seltsam alles so plötzlich wieder zu sehen. Ständig drängte sich der Gedanke auf, dass wir eigentlich momentan nicht hier hin gehören. Diese Gedanken hielten sich auch noch für mehrere Tage bis wir komplett wieder in unserem alten Alltag waren.
Aber dass unser Aufenthalt so abrupt unterbrochen wurde, heisst noch lange nicht, dass er vorbei ist!

The story shall go on!

Der Link zu meinem neuen Blog: http://lippon.blogspot.com/

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